Dreiecke (II): Über Bande spielen

In meinem ersten Blog-Beitrag über Dreiecke ging es um das Reden über einen anderen Menschen und die Frage: Was tun mit Gerüchten im Berufsleben? Dreiecke zeigen sich aber auch noch an anderen Stellen, und so widme ich mich ihnen heute ein zweites Mal.

„Lust auf eine Runde Billard?“ – Wer diese Frage hört, denkt wahrscheinlich zuerst an eine Spielhalle, niedrig hängende Lampen über mit grünem Tuch bespannten Tischen, Rauch in der Luft, gedämpfte Stimmen, Flecken von blauer Queue-Kreide auf dem schwarz-braunen Teppichboden. Das muss nicht gemeint sein. Im Arbeitsalltag spielen viele Menschen oft miteinander Billard, aber ein wenig anders als man im ersten Moment denkt.

Wenn beim Billard die Kugel, die man erreichen möchte, nicht oder nur schwer direkt anspielbar ist, braucht es einen Umweg. Die Kugel wird dann angespielt – über Bande. Das ist herausfordernd. Und das kann schiefgehen.

Ich selbst spreche vom Billard-Spielen gerne, um ein Kommunikationsphänomen zu beschreiben. Es tritt auf, wenn im Kolleg*innen-Kreis ein relativ hohes Angstniveau herrscht oder wenn Kommunikationswege nicht klar oder nicht sicher sind.

Ein Beispiel: Mitarbeiter A will etwas von Mitarbeiter B. Der aber ist schwer erreichbar oder reagiert manchmal seltsam. Ein guten Draht zu ihm hat Mitarbeiter C. Also sagt A zu C, was eigentlich an B gerichtet ist. A spielt B über C an, und C ist hier die Bande.

Das passiert selten mit klaren Worten und fast nie in einer offiziellen Situation. Das geschieht eher beim Kaffee oder am Kopierer oder schnell mal im Vorbeigehen. Wenn es heißt: „C, könnten Sie B bitte sagen, dass er baldmöglichst Radiergummis bestellt? Ich kann ihn derzeit so schlecht erreichen.“ Dann wäre das eine Formulierung, mit der ich noch arbeiten könnte. Wenn es aber heißt: „C, die Arbeit hier ginge deutlich einfacher, wenn B mehr darauf achten würde, dass wir genug Radiergummis haben!“ Dann geht etwas schief.

Das Problem an der zweiten Formulierung ist: C weiß nicht, was A eigentlich will, denn A hat ja B etwas zu sagen, und das wäre der direkte Weg. So spielt A über C in Richtung von B, ohne dass C weiß, was hier gerade genau passiert.

Für C ist es dann schwierig, sich zu verhalten. Tut er nichts? Dann geht der Impuls ins Leere. So kommt man nicht zu Radiergummis. Sagt er es B weiter? Dann gibt es möglicherweise bald wieder Radiergummis, aber die Stimmung zwischen A und B bleibt seltsam. Wie auch immer – es ist zu erwarten, dass der Impuls, die Botschaft bei C gar nicht oder schief ankommt.

Wäre ich C, würde ich einen anderen Weg wählen. „A, ich glaube, es wäre gut, wenn Sie B das direkt sagen würden. Möchten Sie, dass ich dabei bin?“ Das würde ich sagen, also auf den Kommunikationsweg hinweisen, mich nicht als Bande zur Verfügung stellen und doch ein Hilfsangebot machen. Das kann den Druck aus dem Gespräch zwischen A und B herausnehmen und das Dreieck auflösen. Aus meiner Sicht wäre das an dieser Stelle hilfreich.

Dreiecke (I): In der Kommunikation

Dreiecke sind spannende geometrische Formen. Wäre das hier ein Mathe-Blog, wäre das ein reizvolles Thema. Dreiecke aber begegnen auch in der Beratung, und gerade da sind sie etwas sehr Herausforderndes.

Im Aufenthaltsraum, in der Mitarbeiterküche, an der Kaffeemaschine. Frau A. ist schon da, Herr B. kommt dazu und sagt: „Mit Frau C. zusammenzuarbeiten, wird immer schwieriger. Heute erst hat sie …!“ – Und Frau A. fügt hinzu: „Und hattest du nicht erzählt, dass sie kürzlich erst …?“ Und dann reden beide erst von Frau C., dann über Frau C., und wenn es wieder an die Arbeit geht, sind sich Frau A. und Herr B. gegen Frau C. einig, und Frau C. hat erheblich an Ansehen verloren.

Kommt Ihnen bekannt vor? Ja, das geht in der Familie genau so. Cousin und Cousin gegen Tante Adelheid – die perfekte Gegnerin, im Grunde das beste Feindbild, das es jemals gab.

Aber bleiben wir im Arbeitskontext.

Was Frau A., Herr B. und Frau C. da miteinander haben, ist ein Dreieck. Es reden zwei über jemand drittes – und diese dritte kann sich nicht wehren, weil sie nicht dabei ist. Das ist nicht nur unfair, weil es einer großen Gerüchteküche Tür und Tor öffnen kann; das kann bei einer Ausweitung auch zu Mobbing werden – und das wäre am Ende auch juristisch relevant. Vor allem aber schafft es eine Situation, die nur schwer wieder einzuholen ist. Frau A. und Herr B. reden ja auch mit anderen, und Frau C. tut das auch, und so rutscht manchmal die Stimmung wegen einer Kleinigkeit in den Keller. Das kann schneller gehen, als man denkt.

In der Krise ist es dann ein gern beschrittener Weg, bilaterale Gespräche zu führen. Frau A. und Frau C. raufen sich zusammen, und Herr B. und Frau C. tun das auch. Sie versuchen, die Dinge gerade zu rücken und sich auszusprechen. Das ändert – nichts. Denn mit jedem bilateralen Gespräch entsteht wieder ein Dreieck, und dann reden leicht wieder zwei miteinander über den dritten. Manchmal kehrt sich die Situation dann um – und dann gehen die Schläge in eine andere Richtung. Systemisch aber wird damit nichts besser.

Solche Dreiecke in der Kommunikation entstehen besonders häufig in Systemen, in denen ein hohes Angstniveau herrscht. Die eigene Angst muss in irgendeiner Weise bekämpft werden, und das geht – scheinbar! – am besten dadurch, dass Menschen Allianzen schmieden, sich miteinander gegen jemanden verbünden. Genau besehen, kommt dann aber die Kommunikation zum Stillstand. So kann leicht ein großer Konflikt entstehen.

Was tun?

Haben Sie die Formulierung oben bemerkt? Da hieß es: „dann reden beide erst von Frau C., dann über Frau C.“. Ich finde es sinnvoll, mit Frau C. zu reden. Zu dritt. Und dabei die Dinge offen anzusprechen, die in der Luft liegen, die ja ohnehin im System sind und die deshalb bearbeitet werden müssen, um Schlimmeres zu vermeiden. Dann lassen sich die Dinge gestalten. Alle Beteiligten haben dann Einfluss auf den Prozess, der da beginnt. Und es entsteht eine Gesprächskultur, die auch für die Zukunft wegweisend sein kann.

Das ist leichter, als Sie vielleicht denken. Haben Sie Lust, das zu lernen und zu üben?

Psychohygiene?

Einer meiner Lieblingstexte zur Eröffnung dieses Blogs…

Abends nach sechs

Abends nach sechs Uhr gehen im Berliner Tiergarten lauter Leute spazieren, untergefaßt und mit den Händen nochmals vorn eingeklammert – die haben alle recht. Das ist so:

Er holt sie vom Geschäft ab oder sie ihn. Das Paar vertritt sich noch ein bißchen die Beine, nach dem langen Sitzen im Büro tut die Abendluft gut. Die grauen Straßen entlang, durch das Brandenburger Tor zum Beispiel – und dann durch den Tiergarten. Was tut man unterwegs? Man erzählt sich, was es tagsüber gegeben hat. Und was hat es gegeben? Ärger.

Nun behauptet zwar die Sprache, man ›schlucke den Ärger herunter‹ – aber das ist nicht wahr. Man schluckt nichts herunter. Im Augenblick darf man ja nicht antworten – dem Chef nicht, der Kollegin nicht, dem Portier nicht; es ist nicht ratsam, der andere bekommt mehr Gehalt, hat also recht. Aber alles kommt wieder – und zwar abends nach sechs.

Das Liebespaar durchwandelt die grünen Laubgänge des Tiergartens, und er erzählt ihr, wie es im Geschäft zugegangen ist. Zunächst der Bericht. Man hat vielleicht schon bemerkt, wie Schlachtberichte solcher Zusammenstöße erstattet werden: der Berichtende ist ein Muster an Ruhe und Güte, und nur der böse Feind ist ein tobsüchtig gewordener Indianer. Das klingt ungefähr folgendermaßen: »Ich sage, Herr Winkler, sage ich – das wird mit dem Ablegen so nicht gehn!« (Dies in ruhigstem Ton von der Welt, mild, abgeklärt und weise.) »Er sagt, erlauben Sie mal! sagt er – ich lege ab, wies mir paßt!« (Dies schnell, abgerissen und wild cholerisch.) Nun wieder die Oberste Heeresleitung: »Ich sage ganz ruhig, ich sage, Herr Winkler, sage ich – wir können aber nicht so ablegen, weil uns sonst die C-Post mit der D-Post durcheinanderkommt! Fängt er doch an zu brüllen! Ich hätte ihm gar nichts zu befehlen, und er täte überhaupt nicht, was ihm andere Leute sagten – finnste das –?« Dabei haben natürlich beide spektakelt wie die Marktschreier. Aber manchmal wars der Chef, und dem konnte man doch nicht antworten. Man hat also ›heruntergeschluckt‹ – und jetzt entlädt es sich. »Finnste das?«

Lottchen findet es skandalös. »Hach! Na, weißt du!« Das tut wohl, es ist Balsam fürs leidende Herz – endlich darf man es alles heraussagen! – »Am liebsten hätte ich ihm gesagt: Machen Sie sich Ihren Kram allein, wenns Ihnen nicht paßt! Aber ich werde mich doch mit so einem ungebildeten Menschen nicht hinstellen! Der Kerl versteht überhaupt nichts, sage ich dir! Hat keine Ahnung! So, wie ers jetzt macht, kommt ihm natürlich die C-Post in die D-Post – das ist mal bombensicher! Na, mir kanns ja egal sein. Ich weiß jedenfalls, was ich zu tun habe: ich laß ihn ruhig machen – er wird ja sehen, wie weit er damit kommt … !« – Ein scheu bewundernder Blick streift den reisigen Helden. Er hat recht.

Aber auch sie hat zu berichten. »Was die Elli intrigiert, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen, Fräulein Friedland hat vorgestern eine neue Bluse angehabt, da hat sie am Telefon gesagt, wir habens abgehört –: Man weiß ja, wo manche Kolleginnen das Geld für neue Blusen herhaben! Wie findest du das? Dabei hat die Elli gar keinen Bräutigam mehr! Ihrer ist doch längst weg – nach Bromberg!« Krach, Kampf mit dem zweiten Stock auf der ganzen Linie – Schlachtgetümmel. »Ich hab ja nichts gesagt … aber ich dachte so bei mir: Na – dacht ich, wo du deine seidenen Strümpfe her hast, das wissen wir ja auch! Weißt du, sie wird nämlich jeden zweiten Abend abgeholt, sie läßt immer das Auto eine Ecke weiter warten … aber wir haben das gleich rausgekriegt! Eine ganz unverschämte Person ist das!« Da drückt er ihren Arm und sagt: »Na sowas!« Und nun hat sie recht.

So wandeln sie. So gehen sie dahin, die vielen, vielen Liebespaare im Tiergarten, erzählen sich gegenseitig, klagen sich ihr kleines Leid, und haben alle recht. Sie stellen das Gleichgewicht des Lebens wieder her. Es wäre einfach unhygienisch, so nach Hause zu gehen: mit dem gesamten aufgespeicherten Oppositionsärger der letzten neun Stunden. Es muß heraus. Falsche Abrechnungen, dumme Telefongespräche, verpaßte Antworten, verkniffene Grobheiten – es findet alles seinen Weg ins Freie. Es ist der Treppenwitz der Geschäftsgeschichte, der da seine Orgien feiert. Die blauen Schleier der Dämmerung senken sich auf Bäume und Sträucher, und auf den Wegen gehen die eingeklammerten Liebespaare und töten die Chefs, vernichten den Konkurrenten, treffen die Feindin mitten ins falsche Herz. Das Auditorium ist dankbar, aufmerksam und grenzenlos gutgläubig. Es applaudiert unaufhörlich. Es ruft: »Noch mal!« an den schönen Stellen. Es tötet, vernichtet und trifft mit. Es ist Bundesgenosse, Freund, Bruder und Publikum zu gleicher Zeit. Es ist schön, vor ihm aufzutreten.

Abends nach sechs werden Geschäfte umorganisiert, Angestellte befördert, Chefs abgesetzt und, vor allem, die Gehälter fixiert. Wer würde die Tarife anders regeln? Wer die Gehaltszulagen gerecht bemessen? Wer Urlaub mit Gratifikation erteilen? Die Liebespaare, abends nach sechs.

Am nächsten Morgen geht alles von frischem an. Schön ausgeglichen geht man an die Arbeit, die Erregung von gestern ist verzittert und dahin, Hut und Mantel hängen im Schrank, die Bücher werden zurechtgerückt – wohlan! der Krach kann beginnen. Pünktlich um drei Uhr ist er da – dieselbe Geschichte wie gestern: Herr Winkler will die Post nicht ablegen, Fräulein Friedland zieht eine krause Nase, die Urlaubsliste hat ein Loch, und die Gehaltszulage will nicht kommen. Ärger, dicker Kopf, spitze Unterhaltung am Telefon, dumpfes Schweigen im Büro. Es wetterleuchtet gelb. Der Donner grollt. Der erfrischende Regen aber setzt erst abends ein – mit ihr, mit ihm, untergefaßt im Tiergarten.

Da ist Friede auf Erden und den Paaren ein Wohlgefallen, der Angeklagte hat das letzte Wort – und da haben sie alle, alle recht.

Kurt Tucholsky als Peter Panter (1924)

Ob das hilft? Ich habe da so meine Zweifel. Wenn, dann wohl allenfalls kurzfristig. Sie kennen das? Haben Sie ein Interesse daran, eine grundsätzlichere Lösung zu entwickeln?